Bildungsqualität: Wenn sich die Klassenhilfe um die Autistin kümmern muss

UNVERZICHTBARE HILFE IM SCHULALLTAG

Die Aufgaben der Schulen im Allgemeinen und der Lehrkräfte im Besonderen werden immer komplexer und anspruchsvoller. In Liechtenstein unterstützen Klassenhilfen im Rahmen der besonderen schulischen Massnahmen die Lehrpersonen bei ihrer Aufsichtspflicht, begleiten einzelne Kinder, um deren Selbstständigkeit in der Schule zu fördern, und helfen ihnen bei alltäglichen, nicht unterrichtsbezogenen Tätigkeiten. (vgl. Merkblatt zu den Klassenhilfen an öffentlichen Schulen, 1/2019, Schulamt FL) Diese Massnahme ist ein wertvolles Instrument im Schulalltag, das jedoch mehrere Herausforderungen mit sich bringt.

DIE KLASSENHILFE BOOMT, ABER…

Die Anzahl der Klassenhilfen an den Gemeindeund Oberschulen steigt rasant an. Im Januar 2024 titelte das Liechtensteiner Vaterland «64 Klassenhilfen betreuen, begleiten und unterstützen in den Schulzimmern». Dies bedeutet eine deutliche Steigerung, von 42 im Jahr 2022 bzw. 16 im Jahr 2020 (vgl. Schule heute 6, 2022).

Klassenhilfen arbeiten vorwiegend im Teilzeitpensum. Für Personen, die Care-Arbeit («Sorgearbeit») leisten, bietet sich eine gute Gelegenheit für einen Wiedereinstieg ins Berufsleben. Die für Klassenhilfen geforderten Qualifikationen sind z.B. für Eltern grundsätzlich erfüllbar.

Bekenntnis zum einheimischen Arbeitsmarkt gefordert

Aufgrund des Lohngefälles und des Doppelbesteuerungsabkommens sind die Klassenhilfen-Stellen mittlerweile für pädagogisch ausgebildetes Personal aus Österreich attraktiv. Nicht nur, dass Liechtenstein sich diesbezüglich bei den Lehrpersonen in eine höchst ungute Abhängigkeit manövriert, zudem werben wir unserem Nachbarn dringend benötigtes pädagogisches Personal ab, welches für die Klassenhilfen-Aufgaben schlicht und einfach überqualifiziert ist. Hier ist seitens Bildungsministerium von den Rekrutierenden ein deutliches Bekenntnis zum einheimischen Arbeitsmarkt einzufordern. Eine pädagogische Ausbildung darf bei der Rekrutierung einer Klassenhilfe auf keinen Fall als Vorteil angesehen werden. Wenn die Situation die Unterstützung einer pädagogisch ausgebildeten Person verlangt, dann ist zwingend eine ausgebildete Lehrperson zu rekrutieren, keine Klassenhilfe. Dies führte in der täglichen Arbeit im Klassenzimmer zwangsläufig zu einer Verwässerung der Abgrenzung zum Lehrberuf.

„FÜR DIE ARBEIT MIT KINDERN UND JUGENDLICHEN BENÖTIGEN KLASSENHILFEN VERSCHIEDENE KOMPETENZEN WIE EINFÜHLUNGSVERMÖGEN, GEDULD, VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN, TEAMFÄHIGKEIT, DURCHSETZUNGSVERMÖGEN, EMPATHIE, FLEXIBILITÄT UND EIN FREUNDLICHES WESEN. WEITERE VORAUSSETZUNGEN SIND Z.B. GUTE DEUTSCHKENNTNISSE, EINE GUTE AUFFASSUNGSGABE UND SELBSTSTÄNDIGKEIT. KLASSENHILFEN SOLLEN FÜR IHRE TÄTIGKEIT AUSSERDEM EINEN SCHULABSCHLUSS SOWIE ERFAHRUNG IM UMGANG MIT KINDERN MITBRINGEN.“
(Konzept «Klassenhilfen an öffentlichen Schulen», Schulamt)

ABWÄLZUNG PÄDAGOGISCHER AUFGABEN AUF NICHT AUSGEBILDETES UND KOSTENGÜNSTIGERES ASSISTENZPERSONAL

Zudem stellt sich die Frage, ob der enorme Anstieg von Klassenhilfen auf den enorm gestiegenen Bedarf zurückzuführen ist, oder ob hier eine Abwälzung pädagogischer Aufgaben auf nicht ausgebildetes und kostengünstigeres Assistenzpersonal praktiziert wird, zumal über zehn der derzeit 64 Klassenhilfen jeweils explizit nur einem einzelnen Kind mit besonderem Förderbedarf zugeordnet sind und fast ausschliesslich nur mit diesem arbeiten.

Zur dieser Thematik äusserten sich im Kanton St. Gallen im Juni 2021 mehrere Kantonsräte fraktionsübergreifend «[…] kritisch hinsichtlich eines allfälligen (finanziellen) Anreizes, Lehrpersonen und schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen durch Klassenhilfe zu ersetzen.» (vgl. Einfache Anfrage im St. Gallischen Parlament «Klassenassistenzen statt pädagogisches Fachpersonal» vom 21. Juni 2021)

UNTERSCHIEDLICHE HANDHABUNG UND SCHLECHTE ANSTELLUNGSBEDINGUNGEN

Zwischen den Schulen bestehen jedoch grosse Unterschiede in Bezug auf Anrechnung und Dokumentation der Arbeitszeit. Hier scheint die Willkür zu regieren. Eine Klassenhilfe braucht aufgrund der fehlenden pädagogischen Ausbildung und Erfahrung eine klare Anleitung bei ihrer Tätigkeit durch schulisches Fachpersonal. In der Praxis weisen Klassenhilfen oft auf Überforderung, mangelnde Wertschätzung und unzureichende Schulung der Lehrpersonen im Umgang mit Assistenzpersonal hin. Das Dilemma ist offensichtlich.

Bisher sind kaum Weiterbildungsmöglichkeiten vorhanden, und die Perspektiven für Klassenhilfen sind damit nicht besonders motivierend. An schweizerischen Schulhäusern gibt es z.B. Leiterinnen und Leiter von Klassenhilfen. Diese Funktion wird von erfahrenen Klassenhilfen bekleidet. In Zeiten des Lehrpersonalmangels könnten womöglich unter den Klassenhilfen Quereinsteigende in den Lehrberuf gewonnen werden, sofern zukünftig passende Karrierewege aufgezeigt und Angebote geschaffen werden.

KLASSENHILFEN:
NEUE PFLICHTEN – KAUM RECHTE

Klassenhilfen werden vom Schulamt und der Schulleitung nach den Regeln des Staatspersonalrechts mit Dienstvertrag angestellt. (vgl. Merkblatt zu den Klassenhilfen an öffentlichen Schulen, 1/2019, Schulamt FL). Im Juni plant die Regierung die Anstellungsbedingungen für Klassenhilfen im Zuge der Revision des Lehrerdienstgesetzes neu im Lehrund Assistenzpersonalgesetz aufzunehmen. Da Klassenhilfen aber keine pädagogischen Mitarbeitenden darstellen, ist dieser Weg fraglich. Die Klassenhilfen gesetzlich neu anders zu verankern, bringt keine Verbesserung der Situation. Es muss ihre Rolle geklärt und das Lehrpersonal für deren Einsatz geschult werden. Diese so wertvolle Ressource muss endlich richtig eingesetzt werden und faire Arbeitsbedingungen erhalten, wie es das Staatspersonalgesetz für sie vorsieht. Denn keine der Klassenhilfen hat aktuell eine unbefristete Anstellung, auch nicht nach drei oder fünf Dienstjahren. Dienstverträge werden längst nicht für jede Klassenhilfe erstellt und regelmässig erneuert. Hier wird pädagogisches und nicht-pädagogisches Personal auch auf Gesetzesebene vermischt. Ein Blick zu den Nachbarkantonen zeigt, dass es eine separate Lösung braucht (vgl. z.B. Handreichung «Unterrichtsorganisation, Klassenbildung und Personalpool, S. 57)» und schulisches Assistenzpersonal nicht im Dienstgesetz für Lehrpersonen verortet ist. In Liechtenstein wurden die Klassenhilfen in die Vernehmlassung des neu vorliegenden Gesetzes nicht miteingebunden. Ein nicht durchdachter Schnellschuss.

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